Zu den Problemen, deren rechtliche Regelung im aktuellen CIC ernste Bedenken hervorrufen, gehört zweifelsohne der c. 868 § 2, in dem festgelegt wird: „In Todesgfahr wird ein Kind katholischer, ja sogar auch nichtkatholischer Eltern auch gegen den Willen der Eltern erlaubt getauft.” Die Lebengefahr stellt im kanonischen Recht eine besondere Situation dar und ist immer die bedeutendste Ursache für die Dispens vom rein kirchlichen Gesetz. Es ist jedoch fraglich, ob sie eine ratio ultima jeder Sakramentenspendung oder jeglichen kirchlichen Gesetzes sein darf. In diesem Beitrag werden zunächst die Geschichte des zitierten Kanons (I) und dessen legislativ-redaktionelle Entwicklung (II) dargestellt. Abschließend wird der Versuch einer kritischen Auslegung unternommen (III). I. Dem heutigen Kanon entsprach im CIC 1917 der c. 750 § 1, der sich übrigens nur auf die Erlaubtheit der Taufe in Todesgefahr der Kinder nichtchristlicher Eltern bezogen hat. In Quellen zu diesem Gesetz werden die Aussagen des Papstes Benedikt XIV., der Kongregationen des Hl. Offiziums und der Propaganda Fidei angegeben. Es zeigt sich jedoch, daß sich schon u. a. die IV. Synode von Toledo, Gratian und der hl. Thomas von Aquin mit diesem Problem auseinandergesetzt haben. Grunsätzlich war die Kindertaufe gegen den Willen der Eltern verboten, ausgenommen bei Todesgefahr. Dieses Problem wurde im 16. Jahrhundert wieder aktuell aufgrund der wachsenden Missionstätigkeit der Kirche. Es wurden konkrete Fragen an den Apostolischen Stuhl gerichtet, und somit kam es allmählich zur allgemeinrechtlichen Regelung dieses Problems. Papst Benedikt XIV. beschäftigt sich mit ihm in seinen Schreiben Postremo mense (28. Feb. 1747) und Probe (15. Dez. 1751). Er verbietet grunstäzlich die Kindertaufe gegen den elterlichen Willen, ausgenommen bei Todesgefahr, läßt jedoch eine erweiterte Auslegung der paternitas aufgrund des favor fidei zu. Dieselbe Stellung haben auch die beiden erwähnten Kongregationen eingenommen. So kam es zu der inhaltlichen Formulierung des c. 750 § 1, der auf damaligen ekklesiologischen und kanonistischen Voraussetzungen basierte und in den Kommentaren zum CIC 1917 fast einheitlich ausgelegt wurde. II. Das Zweite Vatikanische Konzil hat gute doktrinäre Voraussetzungen für die Änderung dieses Kanons geschaffen. Die erste Redaktionsphase zeigte, daß eine neue Regelung zu treffen sei dahingehend, dann die Kindertaufe sogar in Todesgefahr unerlaubt ist, wenn beide Eltern ausdrücklich dagegen sind (vgl. can. 16 - Schema I zum Sakramentenrecht 1975). Leider kehrte man im Schema II von 1980 (can. 822 §2) ohne eine Begründung anzugeben zur alten Normierung zurück, lediglich unter der Klausel „nisi exinde periculum exsurgat odii in religionem”. Im Schema novissimum von 1982 wurde sogar diese Klausel gestrichen. III. In den ersten Stelungnahmen zum CIC 1983 erfuhr dieser Kanon starke Kritik. Es soll jedoch zugegeben werden, daß H. Schmitz schon 1972 eine Kindertaufe gegen den Willen der Eltern ausdrücklich kritisch beurteilte. Die negative Bewertung dieses kirchlichen Gesetzes kann man folgendermassen begründen: 1. Es stimmt nicht mit der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils überein, um nicht zu sagen, es widerspricht ihr. Das Konzil hat die Eltern als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder anerkannt und festgestellt, daß sie zuerst und unveräßerlich die Pflicht und das Recht zu deren Erziehung haben (GE 3 und 6). Dieser Kanon schränkt im formellen und faktischen Sinn auch die Religionsfreiheit ein (DH 10). Nach dem II. Vatikanum kann man außerdem die Kindertaufe in Todesgefahr nicht mehr mit der Heilsnotwendigkeit begründen. 2. C. 868 § 2 steht auch nicht in logischer und inhaltlicher Beziehung zu anderen Kanones des CIC 1983. Es genügt, sich beispielsweise auf cc. 226 § 2 und 1136 zu berufen. Zudem widerspricht er dem c. 748 § 2. 3. Trotz dieser kritischen Bewertung ist dieser Kanon ein geltendes kirchliches Gesetz. Deswegen muß man bei seiner positiven Auslegung zuerst den Kanonisten Recht geben, die auf eine behutsame und vernünftige Anwendung dieser Norm hinweisen. Sie darf keinesfalls als Mittel zur Evangelisierung oder Zwangskatholisierung dienen. Man muß auch unterscheiden, ob die Taufe eines sich in Todesgefahr befindlichen Kindes ohne ausdrückliche Bitte der Eltern geschieht oder gegen ihren ausdrücklichen Willen. Im ersten Fall könnte man sie noch als erlaubt betrachten, im zweiten dagegen sollte man dem Willen der Eltern entsprechen. Am Ende seines Artikels stellt der Verfasser fest, welche theologischen und praktischen Schwierigkeiten ein „rechtlich zulässiges Handeln” bereiten kann. Man darf jedoch, seiner Meinung nach, davon ausgehen, daß es den Spendern der Taufe bei eventueller Anwendung dieser recht problematischen Norm an seelsorglicher Vernunft und Weisheit wie auch an gut verstandener Liebe zur Kirche und an der Schätzung des elterlichen Willens nicht fehlen wird.
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